10.05.2025

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Goethes „Werther“, 1. Buch: „Ich war ausgestiegen, und eine Magd, die ans Tor kam, bat uns, einen Augenblick zu verziehen, Mamsell Lottchen würde gleich kommen. Ich ging durch den Hof nach dem wohlgebauten Haus, und da ich die vorliegenden Treppen hinaufgestiegen war und in die Tür trat, fiel mir das reizenste Schauspiel in die Augen, das ich je gesehen habe. In dem Vorsaale wimmelten sechs Kinder von elf bis zu zwei Jahren um ein Mädchen von schöner Gestalt, mittlerer Größe, die ein simples weißes Kleid, mit blaßroten Schleifen an Arm und Brust, anhatte. Sie hielt ein schwarzes Brot und schnitt ihren Kleinen rings herum jedem sein Stück nach Proportion ihres Alters und Appetits ab, gab’s jedem mit solcher Freundlichkeit, und jedes rief so ungekünzelt sein „Danke!“, indem es mit den kleinen Händchen lange in die Höhe gereicht hatte, ehe es noch abgeschnitten war, und nun mit seinem Abendbrote vergnügt entweder wegsprang, oder nach seinem stillern Charakter gelassen davonging nach dem Hoftore zu, um die Fremden und die Kutsche zu sehen, darin ihre Lotte wegfahren sollte….“

Charlotte Buff umsorgte nach dem Tod ihrer Mutter ihre 15 Geschwister, sie war die zweitälteste von 16 Kindern. 

CHARLOTTE BUFF

Wie schön und pflichttreu sie nur war,
als Mütterchen ihrer Geschwisterschar.
Charlotte Buff war ein Edelstein,
der Goethe erglühte in Liebe darein.

Lotte war gebunden, da half kein fleh‘n,
für den Stutzer war sie nicht auserseh‘n.
In seiner Sehnsucht dacht‘ er an Tod,
das wäre ein Ausweg aus Liebes-Not.

Damals wählte einer der Freunde gar,
macht‘ seinen Freitod aus Unglück wahr.
Und diese Tat den Herrn Goethe trieb,
dass er sein Leid von der Seele schrieb.

Auch der Tote hatte ein Weib begehrt,
das fest einem Manne zur Ehe gehört‘.
Also schrieb Goethe seinen ersten Roman,
vom Liebestod wegen Liebeswahn.

Verloren schmilzt jegliche Lebenskraft,
wenn die Leidenschaft ein Gemüt erfasst
und Hoffnung auf die Erfüllung erlischt,
dann drängen Seelen zum Lebensverzicht.

Das geliebte Lottchen blieb unberührt,
hat sein erfolgreiches Leben geführt,
mit zwöif Kindern, gelassen und heiter,
lebte sie lieblich und vorbildlich weiter.

Auch Goethes Buch wurde ein Erfolg,
weltweit hat man ihm Achtung gezollt.
Unglückliche Lieben gehen zu Herzen,
einjeder weiß ja um Herzensschmerzen.

Was „Werther“ uns vollkommen weist,
das Beieinander von Schönheit und Geist.
Nicht immer keimt daraus ewiges Glück;
und doch und doch, ein goldenes Stück.

An Männern von Goethes Gedankenkraft
und Lottchen, lieblich und tugendhaft,
war unser altes Deutschland so reich;
wie es heute gleicht einem Ententeich.

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Die vollkommene deutsche Frau Charlotte Buff (1753-1828). Ein Prachtstück: schön, klug und mütterlich.

Die geborene Charlotte Sophie Henriette Buff, später verheiratete Lotte Kestner, wurde zu einer berühmten deutschen Frau, weil sich der 23-jährige Frankfurter Jura-Student und Doktor der Rechte Johann Wolfgang Goethe sich im Sommer 1772 leidenschaftlich in das schöne und überaus tüchtige Mädel verliebte. Er hatte sie während seines Wetzlarer Aufenthalts am 9.6.1772 auf dem Ball in Volpertshausen kennengelernt. Diese Liebe konnte keine Erfüllung finden, denn Charlotte war bereits dem Johann Christian Kestner versprochen. Aber sie inspirierte Goethe zu seinem Erfolgsroman „Die Leiden des jungen Werther“, den er 1774 veröffentlichte. Dieser Roman traf genau den Zeitgeist und schlug wie ein Blitz ein. Die Wirkung ging weit über die seiner späteren Werke hinaus. Werther wurde zur Idolfigur einer ganzen Generation, wirkte aber auch als Provokation und Bedrohung der geltenden Moral. Der Roman wurde in viele Sprachen übersetzt, kopiert, korrigiert, teils verboten und ging dann heimlich von Hand zu Hand.

Der Wetzlarer Unglückswurm, der sich unglücklich in eine verheiratete Frau verliebte, war Karl Wilhelm Jerusalem (1747 bis 30.10.1772), der Sohn eines protestantischen Theologen, Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem. Der Anlass seines Freitodes war Elisabeth Herd (geb. Egell, 1741-1813), Gattin eines kurpfälzischen Legationssekretärs.

Kestner, den Charlotte inzwischen geheiratet hatte und der mit ihr nach Hannover ins Elternhaus gezogen war, fand sich und seine Frau zunächst „übel decouvriert und prostituiert” und ahnte, welcher Klatsch im standesgeprägten Hannover auf sie zukommen würde. Während es für Kestner lebenslang unangenehm blieb, als „Albert” zu gelten, nutzte Lotte in ihrer heiteren Gelassenheit und Lebensklugheit ihren Ruf geschickt aus, vorwiegend um ihren Söhnen Protektion und Fürsprache für deren weitere Karriere zu sichern. Sie brachte in 27 Ehejahren acht Söhne und vier Töchter zur Welt, bewältigte den großen Haushalt mit Organisationstalent, Fleiß und Sparsamkeit und war mit ihrem fröhlichen Naturell, ihrer Hilfsbereitschaft und einem festen Gottvertrauen allseits beliebt.

Kestner starb im Mai 1800 unerwartet auf einer Dienstreise. Charlotte gelang es, die weit verstreute große Familie in ungewöhnlicher Solidarität, besonders der Älteren für die Jüngeren und der Töchter zugunsten der Söhne, zusammenzuhalten und auch die schweren und unsicheren Jahre der französischen Besatzung - mit viel Einquartierung, Kontributionszahlungen, ausbleibender Pension und Gehältern - leidlich zu überstehen.

Die Kestnersöhne stiegen ins Großbürgertum auf und heirateten Frauen aus geachteten Familien. Am berühmtesten wurde August (der „römische Kestner”), dessen Sammelleidenschaft später zur Gründung des Kestnermuseums in Hannover führte. Charlotte Kestner starb nach kurzer Krankheit, von ihrer großen Familie und vielen Freunden tief betrauert. Ihr Grab ist zu finden auf dem Gartenfriedhof in Hannover.