28.04.2014
FESTE UND FEIERN
Das menschliche Bedürfnis nach Wechsel zwischen Arbeit und Feier reicht sicherlich bis in die vorgeschichtliche Zeit zurück. Eindeutige Felsritzbilder aus der Bronzezeit Südskandinaviens (1.600-800 v.0) zeigen schon Feierlichkeiten, Prozessionen und Kultspiele, die uns an noch heute vertraute Motive erinnern. Die vielgesichtige Lebendigkeit des nordischen Jahres mit seinen ständigen klimatischen Umschwüngen und wandelnden Natureindrücken lieferte zweifelsfrei die Hauptveranlassungen dafür, einen nicht endenden Fest- und Feierreigen zu entwickeln. Wie einförmig erscheint dagegen der Jahresfluss in südlicheren Regionen.
Im Urbeginn des Jahresfestkreises stand eine Naturachtung und -verehrung, die im Zuge des allgemeinmenschlichen Entwicklungsprozesses immer mehr heranreiften zu einer Erkenntnis- und Verbindungssuche nach jenen numinosen Kraftmächten, welche die geschauten Naturschauspiele letztlich verursachen. Der ODING-Jahressymbolismus mit seinen 24 Mond-Festzeiten ist ein tiefsinniger Spiegel des altgermanischen Mythenjahres. Man könnte ihn als das naturreligiöse Grundschema der runischen Hochreligion bezeichnen. Zwar bedeuten 24 Jahresfeste nicht unbedingt auch 24 Feiern, denn der Begriff der „Festzeit“ meint lediglich eine Festmarke im Sonnenjahreslauf, also einen Erinnerungskerbschnitt, welcher eine ganz bestimmte Jahresstation markieren soll. Doch kannte der nordische Jahresfestring tatsächlich eine solche Fülle von wirklichen Feieranlässen, daß 24 Runen nicht ausgereicht hätten, sie alle zu bezeichnen. Noch heute weiß jedes Buch über deutsche Jahresbrauchtümer davon ein Lied zu singen. Ausnahmslos alle Fachleute - auch die christlichen - bestätigen das reichentwickelte religiöse Kult- und Gemeindeleben in vorchristlicher Ära. Kaum eines der noch jetzt üblichen Feste wurde als völlige Neuentwicklung der Christenkirche geschaffen, vielmehr lässt sich in der Regel ohne Anstrengung ihr altgläubiger Kern herausschälen. Zur Massenhaftigkeit noch heutiger Brauchtumsfeste in Deutschland hat also zu allererst der engbesetzte altdeutsch-heimatreligiöse Kultkalender beigetragen, auch die Vermischung mit verschiedenartigsten Kultkreisen und insbesondere die mehrfach verschobenen Jahreseinteilungen und -anfänge. Durch solche verwirrenden Verschiebungen ist es zu erklären, dass wir gleiche Bräuche zu verschiedenen Festzeiten wiederfinden.
Die Menge der jahreszeitlich gebundenen Sippen-, Gemeinde-, Stammes- und Gaufeierlichkeiten widersprechen andererseits nicht der Gegebenheit, dass das kosmische Sonnenjahr eigentlich nur vier Festpunkte aufweist, nämlich die beiden Sonnenwenden (21. Dez. u. 21. Juni) und die beiden Sonnenstandsgleichen (21. März u. 23. Sept.) Weil diese vier Sonnenstände zwar messbar und berechenbar, aber nicht erlebbar sind, spielten sie im alten Brauchtum keine hervorgehobene Rolle, vielmehr feierte man diese Jahresumschwünge auf den festgesetzten Mondständen danach, also erst zu den Zeiten, in denen die Auswirkungen des sich ändernden Sonnenganges deutlich sichtbar wurden.
Doch die germanische Auffassung von der Dreiteilung des Jahres, der vielfach belegten Göttertriade und die allgemein kultisch-religiöse Hochschätzung der Dreizahl, die sich auch im ODING-Lehrsystem überzeugend wiederfindet, legt die Vermutung nahe, dass lediglich drei Haupt-Kultopfer gefeiert wurden. Diese Annahme wird bestätigt durch hochmittelalterliche Berichte über heidnische Festbräuche Skandinaviens (Snorris „Heimskringla“, 13. Jh.) sowie die noch heutige Einteilung der drei Festkreise: Weihnachten, Ostern, herbstliches Totengedenken. Die drei großen einstigen Kultfeiern der Volksgesamtheit lagen nach genannten Schriftzeugnissen sowie ODING-Zeitweiser (ursprünglich mondstandsabhängig): etwa Mitte Januar Jolablót, Mitte April Sigrblót und Mitte Oktober Ásablót.
Das Jahr beginnt im groben Überblick mit der Julspanne: Klausenlaufen, Klöpflesnächte, Mütternacht/ Weihnachten, Drei(himmels)königsfest/Perchtennacht und Hakunacht/Hochjul/Mittwinter. (Der Sonnengang wird wieder sichtbar; 20. Jan. = „Fabian, der Saft tut in die Bäume gahn“.) Dann währt die Frühlings-/Frühsommerspanne: Lichtmeß/Frauenfest, Winteraustreiben, Fasnacht/Schemenlauf, Funkensonntag, Arilpossen, Palm-/Weidensonntag, Sommertagsfest, Osterfeuer, Walpurgisnacht, Laubmännchentag, Maibaumtanz, Brunnenschmückungen, Questenfest. Es folgen die Sommer- und Herbstfeste: Balder(Johannis-)feuer, Notfeuerdrehung, Hagelprozessionen, Erntefest, Erntedank/Hahnenschlagen, Kirmes/Kerwe, Lichtgansessen/Martinstag/Sommerende, Schlachtfeste, Nikolaus-/Pelsnickel/ Isegrindnacht. Aus dem vorhandenen Brauchtumsmaterial - unter Zuhilfenahme der ODING-Ordnung - ist eine Wiederherstellung des urdeutschen Festkalenders sehr gut möglich.